Zukunft braucht Vergangenheit: Faszination Oldtimer

Erfindergeist, Pionierleistungen, Nachhaltigkeit, Designikonen und vieles mehr lässt sich heutzutage unter „Faszination Oldtimer“ vereinen. Doch dieses Phänomen ist deutlich mehr: Vor rund 130 Jahren wagten Carl Benz in Mannheim und Gottlieb Daimler in Bad Cannstatt unabhängig voneinander etwas, was sich aus heutiger Sicht als eine der wichtigsten Revolutionen der bisherigen Menschheitsgeschichte bezeichnen lässt: Sie erfanden 1886 das Automobil und bereiteten den Weg für eine Industrie, die sinnbildlich für Baden-Württemberg und der gesamten deutschen Wirtschaft steht – die Automobilindustrie.

Was Anfang des 20. Jahrhunderts, unter Einbeziehung damals bahnbrechender Ingenieurs-, Konstrukteurs- und Designleis­tungen, das Maß aller automobilen Dinge war, erfreut heute einen wachsenden Freundeskreis. Es hat sich über die Jahre eine vitale „Oldtimer-Szene“ etabliert, die sich durch viel mehr auszeichnet als durch die reine Zurschaustellung ihrer Fahrzeuge. Diese Gemeinschaft eint eine positive, bejahende Lebensein­stellung, ein Bekenntnis zu damit verbundenen Traditionen und die Einordnung des Automobils als Kulturgut. Dass sie damit nicht allein ist, zeigt die wachsende Begeisterung der vielen Zuschauer, die regelmäßig und zahlreich die Städte und Dörfer schmücken, wenn eine der beliebten und regelmäßig stattfindenden Oldtimer-Rallyes auf der Durchfahrt ist.

Die Automobilindustrie selbst hat bemerkt, dass die Pflege eigener Traditionen einen wichtigen Baustein der Marken- und Firmenphilosophie darstellt. In der heutigen digitalen und schnelllebigen Zeit, in der eine Innovation fast schon die nächs­­te jagt, in der automobile Herausforderungen der Zukunft bei alternativen Antrieben oder beim autonomen Fahren auf die Pioniere von heute warten, besinnen sich die Hersteller verstärkt ihrer Geschichte. Versprechen, die anstehenden Aufgaben nachhaltig zu bewältigen, erfahren ihren Beweis in den Meilensteinen ihrer eigenen Geschichte, im bereits Geleisteten und Bewährtem. Nicht grundlos hat die Autoindustrie in den letzten Jahren große Investitionen in die Traditionspflege getätigt. Beispielhaft stehen das Mercedes-Benz Museum und das Porsche Museum als Leuchttürme der öffentlichkeitswirksamen Traditionsarbeit, die scharenweise Besucher aus der ­ganzen Welt magisch nach Stuttgart und die Region ziehen. Dieses ­Zusammenspiel zwischen einem faszinierenden Angebot automobiler Geschichte und einem interessiertem Publikum verdeutlicht, dass der Oldtimermarkt lebt. Praktisch seit ihrer Eröffnung sind diese beiden Museen die meistbesuchten in Baden-Württemberg.

Kienle-Restaurierung: Mercedes-Benz 540 K Spezialroadster aus dem Baujahr 1939

Kienle-Restaurierung: Mercedes-Benz 540 K Spezialroadster aus dem Baujahr 1939

Kienle-Restaurierung: Mercedes-Benz 540 K Spezialroadster aus dem Baujahr 1939

Nicht nur dieser Markt funktioniert – auch rund um den Handel des originären Fahrzeugs selbst sehen sich Menschen und Firmen in der Pflicht, diese einmaligen Schätze dauerhaft erlebbar und erfahrbar zu halten. Fachmännische Restaurationen, Instandsetzungen und -haltungen fordern besonders bei Oldtimer-Liebhabern echtes Vertrauen. Originalität und Wert­erhaltung sind oberste Gebote der Unternehmen, die vor allem in Baden-Württemberg, ganz nah an den Wurzeln der Automobilität, ein markenunabhängiges Angebot von Autos, Serviceleistungen, Restaurierungen und Ersatzteilen einer wachsenden Kundschaft anbieten. Diese Experten sind ganz nah dran an der Szene, teilweise sogar pulsierender Bestandteil, sie bilden die Schnittstelle zwischen Herstellern und Oldtimerliebhabern aus der ganzen Welt.

Wichtiges Bindeglied sind auch die internationalen Messen, die sich seit Jahren wachsender Beliebtheit erfreuen. Das zeigt sich nicht nur in der positiven Entwicklung der Besucherzahlen, vielmehr in der wachsenden Internationalität der Gäste und Aussteller. Zwei dieser weltweiten Leitmessen finden jährlich in Deutschland statt, eine davon in Stuttgart. Dort werden Trends definiert, Oldtimer gehandelt und die neue Oldtimer-Saison im jährlichen Veranstaltungskalender geplant. Messen und ähnliche Events haben vielmehr an Bedeutung hinzugewonnen, da sie genügend Raum, Zeit und Themen liefern, um sich mit Gleichgesinnten oder Experten ausführlich fachlich oder sozial zu vernetzen. Nicht umsonst sprechen viele von einer großen Oldtimerfamilie, die auf der ganzen Welt stets Nachwuchs bekommt.

„Mit traditioneller Handwerkskunst, modernster Präzisionsarbeit und jahrzehntelanger Erfahrung restaurieren wir Mercedes-Klassiker.“

Klaus Kienle
Kienle Automobiltechnik, Heimerdingen

Der anhaltende und sich wohl noch verstärkende Boom im Oldtimerbereich wird von einigen Automobil- und Finanzexperten auf die derzeit außergewöhnliche Renditequote zurückgeführt. Kaum eine Kapitalanlage erreicht gerade auch nur annähernde Wertsteigerungen wie die Klassiker. Die vordergründigen Aspekte liegen auf der Hand: die Knappheit des Gutes Oldtimer, die steigende Zahl der Enthusiasten, die Demoskopie – viele heutige Oldtimerbesitzer konnten sich das Fahrzeug früher nicht ­leisten, heute schon – und die risikobehaftete Finanzmarktpolitik. Doch selbst die Summe dieser Argumente reicht bei Weitem nicht aus, die enorme Beliebtheit des Oldtimers zu begründen. Es müssen weitere, sogenannte softe Faktoren hinzugezählt werden. Das Bekenntnis zu Traditionen und Werten, das stolze Zeigen von Erreichtem und Geschaffenem, ein Statement zur Kultur, zu einem Hobby und einer Lebenseinstellung runden diese Erfolgsgeschichte ab, deren Höhepunkt wohl längst nicht erreicht ist, denn auch die heutige Automobilindustrie ist nicht am Ende ihres Siegeszuges angekommen. Es werden ­weitere Schritte folgen, die alle leichter beschritten werden, wenn man sich auf die Erfolge der Vergangenheit berufen kann, denn Zukunft braucht Herkunft.

Enrico Müller