Joachim Escher

Joachim Escher kennt die Reformhausbranche wie kaum ein anderer. Bereits seine Eltern eröffneten 1975 das erste Reformhaus, er selbst stieg nach dem Pharmaziestudium 1988 ins Geschäft ein. Seitdem hat sich einiges getan. Seine Frau Marion gesellte sich dazu, seine Kinder kamen auf die Welt, sein Filialnetz wuchs auf 33 Läden. Doch das ist natürlich noch nicht alles. Denn die Kunden, die im Reformhaus einkaufen, bedienen längst nicht mehr das Klischee müslivernarrter Sandalenträger. Vielmehr sind es moderne, qualitätsbewusste Menschen, die in den mindestens so modernen Läden mal eben mit dem Smartphone einen QR-Code scannen. Ein schönes Bild dafür, dass die einst doch etwas verstaubt anmutende Nischenbranche im Zeitalter der Digitalisierung angekommen ist. Dass dies kein Widerspruch sein muss und was sich in puncto Reformhaus so alles tut, davon erzählt Joachim Escher im Interview.

„Nur wer sich der Zukunft öffnet,
hat Zukunft.“

Joachim Escher,
Geschäftsführer Vita Nova Escher,
Baden-Württemberg

Herr Escher, Sie engagieren sich seit Jahrzehnten dafür, Ihren Kunden hochwertige Gesundheitsprodukte zugänglich zu machen. Wie haben sich das Reformhaus und seine Kunden in dieser Zeit gewandelt?

Nun, ganz einfach ausgedrückt sind beide schlichtweg modern geworden. Früher war unsere Zielgruppe ganz klar definiert und in sich geschlossen, heute ist sie offen. Es ist nicht mehr nur die gesundheits- und qualitätsbewusste Frau ab 40, die bei uns einkauft, es sind auch junge Leute, die sich vegan oder vegetarisch ernähren und unser Angebot schätzen. Natürlich haben sich auch unsere Läden verändert. Das Ambiente ist stilvoller, zeitgemäßer und hat eher Boutique-Charakter. Und: Erinnern wir uns nicht alle daran, dass sich früher „gesund“ und ­„lecker“ beinahe ausgeschlossen haben? Das ist vorbei. Gerade im Lebensmittelbereich können wir heute Produkte anbieten, die gesund und in Bio-Qualität daherkommen und dabei so auf Genuss abonniert sind, dass unsere Kunden sie auch kaufen würden, wenn sie beispielsweise nicht vegan oder vegetarisch wären. Das Reformhaus lässt sich inzwischen mit Begriffen wie wohlfühlen, verwöhnen und genießen verbinden. Was sich ebenfalls verändert hat, ist das Produktangebot: Als wir in den ersten Jahren unsere Geschäfte aufgebaut haben, konnten wir etwa 5.000 verschiedene Artikel anbieten, heute haben wir rund 12.000.

„Wir bieten unseren Kunden einen Mehrwert.“

Würden Sie sagen, dass der Bio-Boom und der Trend zu veganer und vegetarischer Ernährung der Reformhausbranche in die Karten spielt?

Ja und nein. Denn wie wir beobachten können, verfügen inzwischen auch Supermärkte über ein großes Bio-Sortiment sowie vegane und vegetarische Lebensmittel. Sprich, es ist zwar heute ein wesentlich höherer Bedarf an diesen Produkten vorhanden, doch zugleich ist auch die Konkurrenz größer geworden. Das bekommen vor allem kleinere Bio-Läden zu spüren, die es in Zukunft sicher nicht leicht haben werden. Unsere Aufgabe als Reformhaus ist es, den Kunden in unseren Geschäften einen echten Mehrwert zu bieten. Dazu brauchen wir uns im Grunde nur auf unsere Wurzeln zu besinnen – und unseren Fokus auf Naturkosmetik, Naturmedizin und Spezialprodukte zu legen. Und damit auf beratungsintensive Produkte, die häufig eine Problemlösung mit sich bringen. In Verbindung mit einem qualitativ hochwertigen Lebensmittel-Sortiment sind wir so optimal und vor allem zukunftsfähig aufgestellt.

„Unsere Kunden erzählen uns ihre Geschichten und erwarten, dass wir ihnen die Geschichten unserer Produkte erzählen.“

Apropos zukunftsfähig: Inwieweit spielt für Sie die digitale Welt eine Rolle – zeigt sich das gewandelte Reformhaus-Gesicht auch in Ihren Prozessen?

Und ob! Wir wissen, dass wir uns der Zukunft öffnen müssen, um Zukunft zu haben. Wobei man sagen muss, dass wir bereits in den 1990er-Jahren auf EDV umgestellt und eine geschlossene Warenwirtschaft eingeführt haben. Seitdem sind wir diesen Weg konsequent weitergegangen. Bei uns werden der gesamte Warenfluss und das Sortiment über ein zentrales Büro ­gesteuert. Seit 2016 schreitet die Digitalisierung mit entscheidenden Schritten voran – so werden beispielsweise alle Rechnungen und Lieferscheine nur noch elektronisch übermittelt. Unser Ziel ist es, bis Ende 2017 eine komplett elektronische Buchhaltung einzuführen. Dazu müssen wir einiges an Strukturen verändern, was mit einem enormen Aufwand verbunden ist. Aber es ist ja in unserem Sinne, wenn dadurch nicht nur Prozesse optimiert werden, sondern auch der Papierverbrauch gen Null geht. Das Thema Nachhaltigkeit ist schließlich von jeher ein Teil des ­Ganzen in der Reformhausbranche – Reformwaren sind eine Weltanschauung, eine Lebenseinstellung, da macht das Bewusstsein nicht plötzlich irgendwo halt.

„Reformwaren sind eine Weltanschauung.“

Sie gehören zum Vita Nova Verbund und sind Teil der Vita Nova Internet GmbH, die seit 5 Jahren unter ­reformhausshop24.de einen Onlineshop betreibt. Steht der Onlinehandel in unmittelbarer Konkurrenz zum Stationärvertrieb?

Nein. Im Internet werden andere Produkte gekauft als im Stationärvertrieb. Oft sind es größere Mengen, häufig wird am Wochenende bestellt, und meist kommen die Bestellungen aus den Ballungszentren. Die Menschen, die unsere Geschäfte besuchen, legen Wert auf persönliche Beratung, auf das Zwischenmenschliche, sie haben eine emotionale Bindung zu ihrem Reformhaus aufgebaut. Unsere Kunden erzählen uns ihre Geschichten und erwarten, dass wir ihnen die Geschichten unserer Produkte erzählen. Dennoch ist der Onlineshop wichtig, da wir diesen Bedarf Ernst nehmen und dies einfach eine zeitgemäße Art des Einkaufens ist. Außerdem planen wir, unsere Online- und Offline-Aktivitäten noch besser zu vernetzen. Schon heute informieren sich unsere Kunden im Onlineshop, lesen Bewertungen und kaufen ihre Produkte dann bei uns im Laden. Oder sie besuchen uns auf Facebook und lassen sich von unseren Aktionen inspirieren, ehe sie in die Geschäfte kommen. In Zukunft möchten wir unsere Kunden noch optimaler vernetzen – wie etwa mit der Option, im Internet zu bestellen und den Einkauf im Laden abzuholen oder umgekehrt. Es gibt viele Möglich­keiten, die digitale Welt und das „echte Leben“ zu verbinden.

Ihre Läden räumen regelmäßig Preise ab, sind ­aktuell ­Reformhaus des Jahres und Deutschlands Lieblings­reformhaus – das klingt ganz so, als würden Sie ziemlich viel richtig machen …

Wir sind mit Herz und Verstand, aber auch mit Kompetenz und Qualifikation am Start. Wir wissen um unsere Wurzeln, aber wir wissen auch, dass Wurzeln allein nicht reichen, es muss auch ­etwas wachsen. Und wachsen bedeutet nun mal die Bereitschaft zur Veränderung. Vielleicht ist es das, was uns ausmacht.

Das Interview führte Sanne Stenger