„Elektrofahrzeuge sind bereits heute als Alltagsfahrzeuge voll einsetzbar …“

Winfried Hermann MdL, Minister für Verkehr des Landes Baden-Württemberg

Winfried Hermann MdL, Minister für Verkehr des Landes Baden-Württemberg

Alternative Antriebe, vernetzte und selbstfahrende Autos, E-Bikes, abgasfreie Elektrobusse und die Mobilitätsvisionen der Zukunft: Die Automobilindustrie steht vor einem Paradigmenwechsel. Computergesteuerte Fahrzeuge können das Tempo erhöhen oder bremsen, staufreie Wege ansteuern und die Un- fallgefahr deutlich verringern. Sieht so die Zukunft des Auto- mobils aus? Wie sicher sind selbstfahrende Autos? Und welche Fortbewegungsmittel setzen sich durch? Die Palette an Möglichkeiten reicht von der bedarfsgenauen Fahrpreisabrechnung im öffentlichen Personenverkehr über eine effiziente Parkraum- bewirtschaftung bis hin zur intelligenten Erfassung und Analyse von Verkehrsflüssen, die Staus vorhersagen und Ausweich-routen vorschlagen können. Wer unterwegs ist, kann auf den öffentlichen Nah-und Fernverkehr wechseln, wenn die Straßen dicht sind. Das ist praktisch und gut für das Klima. Und die Car-to-Car-Kommunikation kann automatisiert einen Mindestabstand zwischen Fahrzeugen gewährleisten.


Herr Hermann, Sie haben den Kampf gegen den Feinstaub angenommen – wie wollen Sie ihn gewinnen?

Der Grenzwert für Feinstaub (PM10) wird dank großer Anstrengungen in den vergangenen Jahren bis auf wenige Kilometer in Stuttgart eingehalten. Das größere Problem ist der Schadstoff Stickstoffdioxid (NO2). 2016 wurde der NO2-Grenzwert im Jahresmittel in Stuttgart und rund 50 anderen deutschen
Städten überschritten.

Für Stuttgart haben wir schon 2015 ein Gesamtkonzept erarbeitet, um die Grenzwerte spätestens ab 2020 dauerhaft einzuhalten. Begonnen haben wir mit intensiver Kommunikation wie dem „Feinstaubalarm“. Nun sieht der Luftreinhalteplan Stuttgart ein Maßnahmenbündel zur Verbesserung der Luftqualität vor. Dazu zählen der Ausbau und die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, des Rad- und Fußverkehrs, zusätzliche Busfahrstreifen, die Förderung einer beschleunigten Erneuerung der Busflotte, ein regionales Park-and-ride-Konzepts, der Ausbau der Elektromobilität, die Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit auf bestimmten Straßen sowie die Optimierung des Parkraummanagements.

Unsere Gutachten zeigen aber auch, dass die Einhaltung der Grenzwerte ohne Verkehrsbeschränkungen kaum möglich ist. Auch deutsche Gerichte gehen, wie die Verfahren in Düsseldorf und München zeigen, davon aus, dass Verkehrsbeschränkun- gen erforderlich sind. Wir haben daher jene gewählt, die den geringsten Eingriff darstellen und dennoch eine ausreichende Wirkung entfalten. Dies betrifft Diesel schlechter als Euro 6. Nur wenn durch Nachrüstung der älteren Diesel der gleiche Effekt erzielt werden kann, werden Fahrverbote obsolet.

Insgesamt streben wir dauerhaft ein alternatives Mobilitätsangebot an, so dass notwendige Verkehrsbeschränkungen nicht weniger Mobilität bedeuten.

Welche Rolle wird E-Mobilität in den Städten der Zukunft spielen, insbesondere in der sehr belasteten Region Stuttgart?

E-Autos, E-Taxen, E-Busse sowie E-Lastenräder und E-Kleintrans- porter werden zunehmend das Stadtbild bestimmen. Luft- und Lebensqualität werden spürbar besser werden. Elektrofahrzeuge sind bereits heute als Alltagsfahrzeuge voll einsetzbar, z. B. als Teil dienstlicher Fahrzeugflotten oder als Pendlerauto. In Baden-Württemberg sollen im Jahr 2020 rund 200.000 Elektro- und Wasserstofffahrzeuge unterwegs sein.

Das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 eine Million E-Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, wird kaum zu halten sein. Warum sind Stromer noch unterrepräsentiert im Straßenbild?

Es werden zwar alltagstaugliche E-Fahrzeuge angeboten, aber sie sind noch zu teuer. Weiters müssen Vermarktung, Werbung und Beratung dringend verbessert werden. Es muss v. a. kostengünstige Leasingangebote fürs ganze Auto oder zumindest für die Batterie geben, weil die Fahrzeuge auf zehn Jahre angeschafft werden, sich aber in den kommenden Jahren gerade bei der Reichweite viel verbessern wird. Die Kommunen müssen den Nutzern mehr Vorteile z. B. beim Parken und Fahren ein-
räumen.

Ergänzend zur Förderung von Fahrzeugkauf und Ausbau der Ladeinfrastruktur suchen wir auch mit verschiedenen Unternehmen und Verbänden nach spezifischen Lösungen, um ihre Fahrzeugflotten zu elektrifizieren.

Woran es sicherlich noch fehlt, ist eine ausreichende Infrastruktur. Was tut sich im Bereich der Ladestationen in den nächsten Jahren?

Geladen wird zu 90 Prozent im Privatbereich, also beim Wohnen und Arbeiten. Dort ist fast noch nichts passiert. Öffentliche Ladesäulen ergänzen das Angebot. Der Bund hat sich nach langem Zögern entschlossen, die Ladeinfrastruktur zu fördern. Dies wird aber nicht ausreichen. Deshalb sorgt in Baden-Württemberg ein ergänzendes Förderprogramm für eine flächendeckende Ladeinfrastruktur. Das heißt, dass von jedem Ort aus die nächste Lademöglichkeit maximal 10 Kilometer entfernt liegt.

Das Fahrrad liegt Ihnen bekanntermaßen besonders am Herzen. Mit der RadSTRATEGIE und dem RadNETZ Baden- Württemberg wurden im vergangenen Jahr zwei Vorhaben der Radverkehrsförderung beschlossen, die ein weiterer Schritt zur Nachhaltigen Mobilität sein sollen. Was hat sich seither getan?

Im Koalitionsvertrag steht: „Wir werden Baden-Württemberg noch fahrradfreundlicher machen.“ Unsere RadSTRATEGIE wird nun in acht Handlungsfeldern schrittweise umgesetzt. Vom Ausbau der Infrastruktur und der Beschilderung über die Fahrradmitnahme bis zum Radtourismus.

Mit dem landesweiten RadNETZ schaffen wir 7.000 km durchgängig sicher befahrbare, gut ausgeschilderte und alltagstaugliche Routen im ganzen Land. Dafür sind wir besonders auf gute Zusammenarbeit mit den Kreisen, Städten und Gemeinden angewiesen, denn etwa 80 Prozent der Radverkehrsinfrastruktur liegt in kommunaler Zuständigkeit. Wir unterstützen die Kommunen bei der Planung und fördern sie finanziell beim Bau der Radinfrastruktur. Außerdem werden viele Netzlücken entlang der Landes- und Bundesstraßen systematisch geschlossen.

Sie haben als überzeugter Radler ja mehrere Fahrräder, unter anderem auch ein E-Bike. Lassen sich E-Bikes auch in den Nahverkehr integrieren, und was braucht es dazu?

E-Bikes können eine wichtige Zubringerfunktion für den öffentlichen Nahverkehr übernehmen. Dazu sind sichere und praktische Abstellmöglichkeiten an Haltestellen und Bahnhöfen erforderlich. Aktuell erarbeiten wir ein Bike+Ride-Konzept. Es soll Kommunen sowie Verkehrsverbünde und -Unternehmen dabei unterstützen, Anlagen an den Haltestellen zu planen und umzusetzen. Als Land fördern wir diesen Ausbau. Zudem können inzwischen in fast allen Regionalzügen Fahrräder, Pedelecs und E-Bikes außerhalb der morgendlichen Hauptverkehrszeit kostenlos mitgenommen werden; und in den neuen Nahverkehrszügen ist dafür auch mehr Platz vorgesehen.

Wie können Autofahrer dazu bewegt werden, auf solch ein Gefährt umzusteigen?

Dazu sind eine gute Infrastruktur und eine positive Kommunikation erforderlich. Wir steigen jetzt auch in die Planung von Radschnellverbindungen ein. Auf den meist kreuzungsfrei oder bevorrechtigt geführten Radschnellwegen können größere Distanzen oft schneller als mit dem Auto zurückgelegt werden. Die Niederlande, Dänemark und London haben das vorgemacht.

In der Kommunikation vermitteln wir durch die Initiative Rad- KULTUR Freude und Spaß am Radfahren – etwa mit der Aktion Stadtradeln. Zudem feiern wir im Jahr 2017 den 200. Geburtstag des Fahrrades. Das Fahrrad wurde 1817 von Karl Drais in Mannheim erfunden und erobert seitdem die Welt.

Wagen Sie zum Schluss eine Prognose: Wie sieht die Mobilität in den Metropolen im Jahr 2040 aus?

Wir erleben derzeit einen enormen Umbruch, in dem es keine sicheren Prognosen geben kann. Aber wir stellen heute die Weichen, damit sich umwelt- und sozialverträglichere Mobilitätsformen durchsetzen können. Denkbar werden dadurch autofreie Stadtteile, viel Platz für Kinderwagen und Rollatoren, Lastenfahrräder, entspannte Geschwindigkeiten und kaum Verkehrslärm. Autonome Fahrzeuge bedienen
flexibel und mit hoher Auslastung einen überwiegend öffentlich und gemeinschaftlich organisierten Verkehr vor allem an den Rändern der Metropolen. Wie kleinteilig oder gebündelt, digital unterstützt, ober- oder unterirdisch und mit welchen heute ungeahnten Transportmitteln dann Güter- und Lieferverkehre klimaverträglich abgewickelt werden – darauf sind wir alle gespannt. Insgesamt sollte Mobilität im Jahr 2040 bedeuten: ökomobiles Ankommen lohnt sich, denn man kann verweilen und sich wohlfühlen in der Stadt.


vm.baden-wuerttemberg.de