„Wir wollen Digitalisierung erlebbar und sichtbar machen und ihren großen Mehrwert für die Menschen in Baden-Württemberg in den Mittelpunkt rücken.“

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg

Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Thema Digitalisierung

Frage: Herr Kretschmann, die Landesregierung hat das Thema Digitalisierung zu einem zentralen Aktionsfeld erklärt und eine ressortübergreifende Digitalisierungsstrategie entwickelt. Was ist die Kernbotschaft, und wie lauten die zentralen Eckpunkte?

Kretschmann: Die Digitalisierungsstrategie der Landesregierung richtet sich an alle Bürgerinnen und Bürger, an unsere Kommunen und an unsere Wirtschaft. Sie will die vielen Chancen der Digitalisierung für unser Land aufzeigen. Was sind die Alleinstellungsmerkmale Baden-Württembergs? Wo sind unsere Stärken dabei? Wo wollen wir in zehn Jahren stehen? Wir wollen Digitalisierung erlebbar und sichtbar machen und ihren großen Mehrwert für die Menschen in Baden-Württemberg in den Mittelpunkt rücken. Die Politik muss einen Beitrag dafür leisten, dass für die Bürgerinnen und Bürger neue digitale Möglichkeiten entstehen, um selbstbestimmt und produktiv zu arbeiten. Mit neuen Produkten und Dienstleistungen können wir hierzulande bald ein besseres Leben in smarten Städten und Gemeinden führen. Schließlich ist Baden-Württemberg ein Hochtechnologieland – und diesen Technologievorsprung wollen wir auch im Bereich der Digitalisierung halten und noch weiter ausbauen.

Frage: Um den Herausforderungen zu begegnen, hat das Land unter anderem gemeinsam mit führenden Unternehmen und Universitäten die Forschungsoffensive Cyber Valley gestartet. Was genau ist die Idee hinter dieser Initiative?

Kretschmann: Mit dem „Cyber Valley“ kann hierzulande auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz ein echter Hotspot für die weltweit besten Köpfe von morgen entstehen. Unser Ziel ist es, nicht nur die besten Maschinen zu bauen, sondern auch die schlausten. Selbstlernende intelligente Systeme werden die Art, wie wir leben und arbeiten, in Zukunft ja ganz grundsätzlich verändern. Das „Cyber Valley“ soll die Frage beantworten: Wie kann Baden-Württemberg – aber auch Deutschland als Ganzes – gestaltend in diese Revolution eingreifen? Damit entsteht eine der größten Forschungskooperationen Europas im Bereich der Künstlichen Intelligenz, in welche die Landesregierung in den kommenden Jahren mehr als 50 Millionen Euro investieren wird. Baden-Württemberg ist ja jetzt schon die Heimat führender Forschungseinrichtungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Auf Initiative der Max-Planck-Gesellschaft haben sich nun viele starke Partner zusammengefunden, die Universitäten Stuttgart und Tübingen sind dabei ebenso an Bord wie wichtige Stiftungen und Wirtschaftsunternehmen. Das „Cyber Valley“ soll sowohl ein internationales Zentrum für Grund-
lagenforschung als auch eine Gründerplattform für marktfähige Anwendungen sein. Und die Ausbildung exzellenter Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ist natürlich auch ein Teil des Projekts.

Frage: Laut Studie der Unternehmensberatung Roland Berger hinken die kleinen und mittelständischen Unter-nehmen bei der Umstellung und Digitalisierung ihrer Prozesse noch etwas hinterher. Wie hoch schätzen Sie den Digitalisierungsgrad in der baden-württembergischen Wirtschaft insgesamt ein?

Kretschmann: Im deutschen und europäischen Vergleich ist der Digitalisierungsgrad sicher überdurchschnittlich hoch. Er betrifft insbesondere die innovativen Industriebetriebe sowie den IT-Dienstleistungsbereich. Größere Lücken gibt es noch im Bereich von Klein- und Kleinstunternehmen, im Handwerk und im Dienstleistungsbereich. Deswegen setzen wir jetzt gerade dort mit verschiedenen Angeboten an. Zum Beispiel mit landesgeförderten Digitalisierungslotsen, die direkt in die Betriebe reingehen und den Unternehmen ganz individuelle Hinweise zu den Möglichkeiten der Digitalisierung geben.

Frage: Vieles hängt an der Automobilindustrie als wohl wichtigste Branche im Land. Wie sieht deren Zukunft angesichts der Diskussionen um Feinstaub und Fahrverbote aus?

Kretschmann: Das Automobil wird ja gerade zum zweiten Mal erfunden. Automatisierung, Elektrifizierung und die Vernetzung von Verkehrsträgern sind Schlagworte der neuen Mobilität. Dazu kommt natürlich die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit des Verbrennungsmotors. Dieser Prozess fordert uns wirtschaftlich, verkehrstechnisch und umweltpolitisch richtig heraus! Eine gemeinsame Kraftanstrengung ist notwendig, um diese Herausforderungen zu meistern: Die Hersteller müssen jetzt die Entwicklung neuer Antriebstechnologien vorantreiben, bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung beim Verbrenner. Zentral ist auch, dass wir unsere Zulieferer – und hier denke ich speziell an unsere vielen kleinen Mittelständler – bei diesem Technologiewandel mitnehmen müssen; und die Politik muss verlässliche Rahmenbedingungen setzen. Sie sollten ehrgeizig sein – aber auch zu den Produktionslebenszyklen in der Industrie passen. Alle diese wichtigen Partner saßen beim von mir initiierten Strategiedialog Automobilwirtschaft im vergangenen Mai an einem Tisch und berieten über die Automobilwirtschaft der Zukunft. Für mich steht außer Frage, dass wir auf wirklich saubere Diesel- und Verbrennungsmotoren noch einige Jahre angewiesen sind. Denn sie sind die Brückentechnologie zu den emissionsfreien alternativen Antrieben. Unser Ziel einer emissionsfreien Mobilität werden wir dabei aber nicht aus den Augen verlieren. Wir halten an den Klimaschutzzielen fest. Der Klimawandel ist ja die Menschheitsfrage des 21. Jahrhunderts.

Frage: Vom Autobauer zum Mobilitätsdienstleister – so lautet vielfach die Strategie der großen Konzerne. Ist das der richtige Weg, und haben die Unternehmen im Land das Rüstzeug dazu?

Kretschmann: Über 130 Jahre waren deutsche Automobilprodukte ihren Wettbewerbern immer eine Nasenlänge voraus. Dieser Vorsprung basierte lange auf der exzellenten Qualität der mechanischen Komponenten, also dem Motor, dem Getriebe, dem Fahrwerk oder der Karosserie. Mit der Elektrifizierung können nun andere Wettbewerber mächtig aufholen. Unsere Autobauer müssen sich weiterentwickeln: Es gilt etwa, passende Geschäftsmodelle für das Carsharing zu entwickeln. Auch das automatisierte Fahren bietet langfristig Perspektiven – und gerade hier sind die hiesigen Unternehmen sehr gut aufgestellt.

Frage: Bildung ist die wichtigste Grundlage für die Zukunftsfähigkeit eines Landes. Welche Chancen birgt die Digitalisierung für die künftigen Bildungspläne?

Kretschmann: Wir dürfen bei diesem Thema nicht den Fehler machen, Mittel und Zweck miteinander zu verwechseln. Durch den Einsatz digitaler Hilfsmittel wird der Unterricht ja nicht automatisch besser oder das Lernen effektiver. Um den Unterricht für die Digitalisierung zu öffnen, müssen wir didaktisch und pädagogisch gut ausgestaltete Konzeptionen entwickeln. Digitale Medien bieten zum Beispiel ganz neue Möglichkeiten, um den Unterricht stärker zu individualisieren. Der Schulunterricht kann didaktisch wirksamer werden, indem Unterrichtsinhalte auf ganz neue Art sehr anschaulich erlebbar werden. Das Bestreben, neue Entwicklungen und gesellschaftliche Veränderungen immer wieder aufzugreifen, bestimmt natürlich die Qualität und die Leistungsfähigkeit der schulischen Bildung. Es geht also auch um die Frage, wie sich unsere Kinder und Jugendlichen altersgerecht und kritisch mit der digitalen Welt und ihren vielen Medienangeboten auseinandersetzen können. Und um Wege, wie sie diese Welt gemeinsam mit anderen mitgestalten können, statt sie einfach nur so hinzunehmen, wie sie gerade ist.

Frage: Wie kann es gelingen, neben den großen Metropolen auch den ländlichen Raum mit seinen Menschen in die digitale Zukunft mitzunehmen?

Kretschmann: In der letzten Legislaturperiode haben wir in unsere Landesverfassung die Verpflichtung aufgenommen, gleichwertige Lebensverhältnisse, Infrastrukturen und Arbeitsbedingungen in ganz Baden-Württemberg zu fördern – und das gilt natürlich auch für den Prozess der Digitalisierung. Wenn wir die Chancen der Digitalisierung nutzen wollen, müssen wir auch die besonderen Bedingungen und Herausforderungen auf dem Land bedenken. Viele kleine und mittlere Unternehmen und Weltmarktführer haben dort ihren Sitz. Der ländliche Raum trägt maßgeblich zu Wohlstand und Wachstum unseres Landes bei! Wir brauchen also schnelles Internet auch in der Fläche. Die Landesregierung unterstützt die Kommunen bei diesem Ziel finanziell und beratend. Besonders im ländlichen Raum eröffnet die Digitalisierung sehr viele Möglichkeiten, etwa im Bereich der medizinischen Versorgung, bei der Erreichbarkeit von Angeboten der Daseinsvorsorge und im Bereich der Mobilität.

Frage: Wie wird das Leben in 20, 30 Jahren funktionieren?

Kretschmann: Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich kann ja nicht in die Zukunft sehen. Fest steht aber: Die Digitalisierung verändert grundlegend die Art und Weise, wie wir arbeiten und leben, wie wir konsumieren und kommunizieren. Und um die Auswirkungen der Digitalisierung zu spüren, werden wir nicht 20 oder 30 Jahre lang warten müssen. Darum investiert die Landesregierung etwa massiv in die Breitbandförderung. Im Jahr 2017 stehen 125 Millionen Euro an Fördergeldern bereit. Schon im vergangenen Jahr haben wir den Breitbandausbau mit einer Rekordsumme von über 113 Millionen Euro gefördert.

Frage: Können Sie es nachvollziehen, wenn insbesondere ältere Menschen den Wandel skeptisch und mit Sorge verfolgen?

Kretschmann: Der Medienbildung gerade für ältere Menschen kommt eine besondere Bedeutung zu. Natürlich wollen wir die ältere Generation mitnehmen – im virtuellen Raum ist ja nicht nur Platz für die Jüngeren. Gerade für ältere Menschen hat die digitale Welt vieles zu bieten. Etwa die fortschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen, die besonders im ländlichen Raum neue Möglichkeiten der medizinischen Versorgung für die Bevölkerung bietet. Außerdem wollen wir die Telemedizin nachhaltig ausbauen. Und weil wir die angesprochenen Sorgen der älteren Menschen sehr ernst nehmen, befinden wir uns bei diesem Thema mit wichtigen Interessenvertretern – etwa mit dem Landesseniorenrat – im ständigen Austausch.

Frage: Sie selbst wohnen auch auf dem Land – wie hoch ist Ihr ganz persönliches Digitalisierungslevel?

Kretschmann: Mein Digitalisierungslevel ist schon sehr hoch. Bedingt durch meinen Job muss ich quasi ständig online sein, ob im Büro, auf dem Weg zu Terminen oder eben auch zu Hause. Wenn ich aber mal daheim in Laiz abschalten kann, dann beschäftige ich mich auch gerne mit ganz „analogen“ Dingen – mit dem Heimwerken, der Gartenarbeit oder dem Wandern auf der Schwäbischen Alb.